Sladeczek, Martin: Vorreformation und Reformation auf dem Land in Thüringen. Strukturen – Stiftungswesen – Kirchenbau – Kirchenausstattung (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 9), Köln/Weimar/Wien 2018.

Rektoratsblatt der Matrikel der Universität Erfurt von 1546
Ein Bauer als Zeuge der Auferstehung Christi, Rektoratsblatt der Matrikel der Universität Erfurt, Sommersemester 1546. [Bild: Stadtarchiv Erfurt, Foto: Kerstin Richter]

Was bedeutete für die Bauern eigentlich „Reformation“? 

Wie berührten die religiösen und gesellschaftlichen Prozesse ihre Interessen? Wie handelten sie? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Jenaer Dissertation, die im Forschungsprojekt „Thüringen im Jahrhundert der Reformation“ bearbeitet werden konnte. Gegenüber der vielfältigen Forschungslage zu Reformationen in den Städten, wurde dies bisher allenfalls am Rande betrachtet. Im Zentrum stand daher das Ziel, die Prozesse sowohl zeitlich, strukturell als auch frömmigkeitshistorisch vergleichend einzuordnen. Ausgehend von der reichen Frömmigkeit vor der Reformation sollte im Vergleich von Schrift-, Bau- und Bildquellen die Veränderung des kirchlichen Lebens in den Dörfern untersucht werden. Wie lassen sich die Bauern und die Gemeinden sowie die Niederadligen in ihrem Handeln greifen und als Akteure darstellen? Welchen direkten Einfluss hatten Pfarrer, Superintendenten und andere Multiplikatoren? Was veränderte sich tatsächlich im Laufe der ersten Jahrzehnte nach 1517? Welchen Einfluss hatte die Reformation auf Kirchenbau sowie Kirchenausstattung und was ist davon noch zu sehen? Gleichzeitig versuchte die Arbeit, verschiedene methodische Wege aufzuzeigen, anhand welcher Quellen und Indizien überhaupt Erkenntnisse zum kirchlichen Leben auf den Dörfern gewonnen werden können.

Zur Einordnung wurde ein klassischer landeshistorischer Rahmen gewählt: die historische Landschaft Thüringen, erweitert um die Gebiete östlich der Saale, als eine Kernlandschaft der frühen reformatorischen Entwicklung. Durch das große Untersuchungsgebiet wurde sichergestellt, Ergebnisse bei verschiedenen wirtschaftlichen Voraussetzungen und für verschiedene Herrschaftsgebiete zu erhalten: Fürsten, Grafen, städtische Territorien. Dadurch wird das Handeln der Bauern und der Adligen – gelöst von der Theorie der ‚Fürstenreformation‘ und der Verengung auf den Bauernkrieg – unter unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umständen sichtbar. Bei einzelnen Themen wurde ein regionaler Vergleich angestrebt. 

Für die Arbeit wurde ein weiter zeitlicher Rahmen von circa 100 Jahren gewählt, um so die Entwicklung über eine lange Dauer darzustellen. Wenngleich Ergebnisse zur Rezeption der Reformation in der ländlichen Gesellschaft gewünscht waren, sollte doch die Entwicklung des kirchlichen Lebens über einen längeren Zeitraum im Mittelpunkt stehen.

Innerhalb der drei Hauptkapitel werden bestimmte Themen diachron untersucht: Die Rolle des Pfarrers und sein Verhältnis zur Gemeinde, der Einfluss der Laien auf die kirchlichen Strukturen, das Stiftungswesen auf dem Land mit vielen Ausprägungen, Kirchenbau und -ausstattung in den Dörfern sowie die Stellung der Gemeinden und der Niederadligen zur landesherrlichen Kirchenpolitik in den einzelnen Territorien. 

Erstmals wird eine ‚dörfliche Sakraltopographie‘ in größerem Umfang deutlich. Diese fand vor und nach der Reformation ihren Niederschlag in der Kirchenausstattung. 

Der disparaten Quellenlage sollte mit einer breiten Quellen- und Methodengrundlage begegnet werden. In erster Linie kamen Quellen aus den Gemeinden selbst zum Einsatz: Suppliken und Kirchenrechnungen, darüber hinaus Visitationsakten, die von den Zuständen in den Dörfern berichten. Neben diesen und weiteren Typen von Schriftquellen (Urkunden, Briefe, Chroniken, …) wurden über 160 Kirchenbauten und ihre Ausstattung untersucht. Ziel war dabei, anhand der Breite der fragmentarischen Überlieferung dem ‚Typischen‘ näher zu kommen: Was lässt sich anhand der Ausstattung über bäuerliches Stiften sagen? Was veränderte sich mit der frühen Reformation in den Kirchen (Stichwort Bildersturm)? In welchen Zeiträumen entwickelte sich etwas ‚Evangelisches‘? Die künstlerische Ausgestaltung der Kirchen wurde dabei als Quelle für die Frömmigkeit der ländlichen Bevölkerung verstanden. 

Die Arbeit ist 2018 im Böhlau-Verlag erschienen, mittlerweile liegen diverse Rezensionen vor, u.a. in der Zeitschrift für historische Forschung 46,1 (2019).

Aus der Arbeit entstanden verschiedene noch laufende Forschungsprojekte.

Sechs Thesen

  1. Die dörflichen Gemeinden suchten, das kirchliche Leben in ihrem Ort zu schützen und zu erweitern: Kirchenbau, Pfarrer, Stiftungen.

  2. Es gab hinsichtlich der Entwicklung der Reformation keine zeitliche Verzögerung zwischen Stadt und Land.

  3. Pfaffen- und Bilderstürme waren das Ergebnis kleiner revolutionärer Gruppen, für den Verlauf sind sie eher Randerscheinungen.

  4. Die Visitationen waren Strukturbildner der neuen Ordnung, aber nicht entscheidend für eine „Durchsetzung“ der Reformation. Sie erleichterten den Zugriff vor Ort.

  5. Die Dorfgemeinden hatten als Akteure auch nach 1525 einen Einfluss auf die landesherrliche Religionspolitik; die Hinwendung zum Landesherrn geschah implizit.

  6. In Kirchenbau und -ausstattung spiegelt sich am besten die Entwicklung der Frömmigkeit, inklusive einer „Delle“ zwischen 1520 und 1550/60.